F. Godthardt: Marsilius von Padua und der Romzug

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Titel
Marsilius von Padua und der Romzug. Ludwigs des Bayern. Politische Theorie und politisches Handeln


Autor(en)
Godthardt, Frank
Reihe
Nova Mediaevalia. Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter 6
Erschienen
Göttingen 2011: V&R unipress
Anzahl Seiten
533 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Die vorliegende Hamburger Dissertation beschäftigt sich mit den Auswirkungen spätmittelalterlicher politischer Theorie auf das politische Handeln der Zeitgenossen. Das Thema wird nicht abstrakt diskutiert, sondern an einem konkreten Fallbeispiel exemplifiziert, nämlich dem Einfluss des Paduaner Philosophen Marsilius dei Mainardini auf die politischen Entscheidungen Ludwigs des Bayern in dessen Auseinandersetzung mit Papst Johannes XXII. Im Zentrum der Untersuchung steht Marsilius’ 1324 abgeschlossene Schrift Defensor pacis, die den weltlichen Herrschaftsansprüchen der Päpste eine dezidierte Absage erteilt. Dabei wird insbesondere die Mitwirkung des Papstes an der Wahl des Königs bzw. Kaisers abgelehnt – ein Standpunkt von beträchtlicher politischer Tagesbrisanz, wenn man an die Nichtanerkennung Ludwigs durch Johannes XXII. denkt. Einen Höhepunkt erreichte der Kampf zwischen dem Papst und dem gewählten römischen König, an dessen Hof sich Marsilius von Padua nach dem Abschluss des Defensor pacis zurückgezogen hatte, während Ludwigs Romzug, zu dem er in den letzten Tagen des Jahres 1326 aufbrach: Entgegen dem ausdrücklichen Willen des Papstes liess sich Ludwig in Rom zum Kaiser krönen, wobei die eigentliche Krönung von vier Vertretern des römischen Volkes vollzogen wurde; darüber hinaus erklärte er Johannes XXII. für abgesetzt und setzte an dessen Stelle den Minoriten Pietro von Corvaro als kurzlebigen Gegenpapst Nikolaus V. ein.

Diesen drei Momenten, Ludwigs Kaiserkrönung, der erklärten Absetzung Johannes’ XXII. und der Erhebung Nikolaus’ V., in denen sich Ludwigs politisches Handeln gleichsam in «reiner» Form manifestiert, gilt Frank Godthardts besonderes Interesse: Der genaue Ablauf der jeweiligen rituellen Handlungen und die Rolle der daran Beteiligten werden unter Zuhilfenahme aller erhältlicher Quellen minutiös nachgezeichnet und auf allfällige Spuren von Marsilius’ Anteil an den Ereignissen hin befragt. Dabei bleibt der Verfasser seiner vorsichtigen, quellennahen Linie treu. In Bezug auf die konkrete politische Ausgestaltung der Kaiserkrönung sei beispielsweise Marsilius’ Einfluss auf der Grundlage der erhaltenen Zeugnisse «nicht sicher zu beurteilen» (307). Anders präsentiert sich die Sachlage in Fall der Absetzung Johannes’ XXII.: Der Papst selbst führte Ludwigs Vorstoss auf die Irrlehren von Marsilius und dessen Gefährten Johannes von Jandun zurück. Auch die Erhebung des Gegenpapstes durch Ludwig wurde von den Zeitgenossen mit Marsilius und Johannes in Verbindung gebracht, die sich beide wenigstens zeitweise im Gefolge des Bayern befanden.

Was die Frage nach dem möglichen Einfluss der politischen Theorie Marsilius’ auf Ludwigs politisches Handeln betrifft – wir bewegen uns hier auf einer abstrakteren Deutungsebene, als es die Einschätzungen der Zeitgenossen sind –, so muss sich der Leser seine Antworten an verschiedenen Stellen zusammensuchen. Ein eigenes Kapitel, in dem diese Elemente gebündelt worden wären, hätte dem Publikum diese Mühe abgenommen. In Ermangelung eines solchen Kapitels hält sich der Leser an die Zusammenfassung des Buches (die freilich ohne Nachweise auskommt). Dort wird festgehalten, dass die «beiden Grundgedanken Ludwigs zur Kaiserkrönung, wonach erstens der Papst die Pflicht zur Krönung [...] hat, und zweitens die Kaiserkrönung zwar notwendig ist zur Ausübung des Rechts, den Kaisertitel zu führen, durch sie aber keine Autorität übertragen wird», Marsilius’ Vorstellungen im Defensor pacis entsprechen (448). Damit lässt sich eine Linie zwischen Ludwigs politischem Handeln und den theoretischen Vorgaben seines Höflings ziehen, auch wenn nicht alle formalen Aspekte von Ludwigs Krönung aus dem Traktat hergeleitet werden können. Weitere Übereinstimmungen zwischen Theorie und sich allem Anschein nach davon inspirierender Praxis betreffen die Absetzung Johannes XXII. durch Ludwig den Bayern und die Erhebung des neuen Papstes. Dabei lehnte sich die Praxis bei Bedarf an die Theorie an, ohne Letztere zu ihrer Richtschnur zu machen: Frank Godthardt weist beispielsweise darauf hin, dass «Ludwigs Auffassung vom Kaisertum als Institution», insbesondere von dessen göttlichem Ursprung, in mancherlei Hinsicht von Marsilius’ Vorstellungen abwich (450).

Mit seinem Buch legt der Verfasser eine wohltuend quellennahe, ja geradezu quellengesättigte Studie vor, die abgesehen vom monierten «Konstruktionsfehler» systematisch und stringent aufgebaut ist. Ein kombiniertes Namen- und Sachregister erleichtert punktuelles Nachschlagen.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Frank Godthardt, Marsilius von Padua und der Romzug Ludwigs des Bayern. Politische Theorie und politisches Handeln, Göttingen, V&R Unipress, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 669-670.

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